Wie Afrobeats die Welt eroberten
Erst letzten Monat saß ich in einem vollbesetzten Stadion in Toronto und sah Tausenden von Fans zu – die meisten von ihnen hätten Lagos vor fünf Jahren wahrscheinlich nicht einmal auf der Karte finden können –, die Burna Boys „Ye“ Wort für Wort mitsangen. Die Energie war absolut elektrisierend. Ehrlich gesagt war es für mich ein Schock, wie grundlegend Afrobeats die globale Musiklandschaft verändert hat – auf eine Art und Weise, die mir unmöglich erschien, als ich 2012 anfing, über afrikanische Musik zu berichten.
Was wir erleben, ist nicht nur ein weiterer Musiktrend. Laut aktuellen Branchenberichten1Die Streaming-Zahlen für Afrobeats sind seit 2017 weltweit um über 5501 TP3T gestiegen. Das Genre macht mittlerweile fast 131 TP3T des weltweiten Musikkonsums auf den großen Plattformen aus. Was mich aber wirklich begeistert: Dies ist kein künstlich erzeugtes, industriegetriebenes Phänomen. Es ist organischer, basisdemokratischer kultureller Austausch in Echtzeit.
Die Nigerian Foundation: Mehr als nur Musik
Um ganz ehrlich zu sein: Als ich Anfang der 2000er zum ersten Mal mit Afrobeats in Berührung kam, erkannte ich dessen revolutionäres Potenzial nicht sofort. Damals arbeitete ich als Musikjournalistin und berichtete hauptsächlich über westlichen Pop und Hip-Hop. Daher betrachtete ich die Musik durch eine ziemlich eingeschränkte Brille. Was ich zunächst nicht erkannte, war, wie tief dieser Sound in Jahrhunderten westafrikanischer Musiktradition verwurzelt war und gleichzeitig völlig zukunftsweisend.
Die Grundlagen des modernen Afrobeats – und ich muss hier vom Afrobeat der 1970er Jahre unterscheiden, der von Fela Kuti entwickelt wurde – entstanden Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre in der pulsierenden Clubszene von Lagos. Künstler wie 2Baba (ehemals 2face Idibia) und D'banj machten nicht nur Musik; sie schufen eine klangliche Identität für eine neue Generation von Afrikanern. Der Sound vermischte traditionelle Yoruba-Percussion mit modernen Hip-Hop-Beats, Highlife-Gitarrenmustern und Dancehall-Riddims.3.
Was mir bei meinen Besuchen in den Aufnahmestudios von Lagos zwischen 2008 und 2012 auffiel, war der unglaubliche Einfallsreichtum dieser frühen Pioniere. Studios wie Chocolate City und Mavin Records arbeiteten im Vergleich zu ihren westlichen Kollegen mit relativ bescheidenen Budgets, produzierten aber dennoch Tracks mit einer mitreißenden Energie, die ich anderswo selten hörte. Die Produzenten – Leute wie Don Jazzy, Masterkraft und später Del'B – erfanden quasi spontan neue Produktionstechniken.
Frühe Pioniere und Durchbruchsmomente
Rückblickend kann ich mich an bestimmte Momente erinnern, in denen mir klar wurde, dass Afrobeats viel größer werden würde, als alle erwartet hatten. Der erste war wahrscheinlich 2012, als D'banjs „Oliver Twist“ in Großbritannien erstmals im Radio gespielt wurde. Ich weiß noch, dass ich dachte: „Okay, das ist anders.“ Der Track hatte diesen unwiderstehlichen Schwung, der sich über kulturelle Grenzen hinweg übertragen ließ, ohne seine typisch nigerianische Identität zu verlieren.
Aber mal ehrlich? Der eigentliche Wendepunkt war Wizkid. Ich verfolge seine Karriere seit seinen Anfängen bei Banky W's Empire Mates Entertainment, und seine Entwicklung war faszinierend. Seine Zusammenarbeit mit Drake bei „One Dance“ im Jahr 2016 war nicht nur ein Crossover-Hit – sie war eine kulturelle Brücke.4. Plötzlich war Afrobeats keine „Weltmusik“ mehr, sondern einfach nur Musik.
Künstler | Durchbruchstrack | Jahr | Globale Chartposition |
---|---|---|---|
D'banj | Oliver Twist | 2012 | Großbritannien #9, Deutschland #15 |
Wizkid | Ein Tanz (mit Drake) | 2016 | Plakatwand #1, Großbritannien #1 |
Davido | Fallen | 2017 | Billboard R&B/Hip-Hop #13 |
Burna Boy | Ihr | 2018 | Billboard World Alben #7 |
Davidos Werdegang war ebenso beeindruckend, wenn auch völlig anders. Während Wizkid zunächst durch Kollaborationen internationale Anerkennung erlangte, baute Davido seine globale Fangemeinde mit purem, kompromisslosem Afrobeat auf. Sein Song „Fall“ war der am längsten in den Billboard-Charts platzierte nigerianische Song, ohne dass ein großer westlicher Künstler daran beteiligt war.5. Da wusste ich, dass wir Zeugen von etwas noch nie Dagewesenem waren.
Die Auswirkungen der Streaming-Revolution
Zwischen 2016 und 2019 verzeichneten afrikanische Künstler einen Anstieg der weltweiten Streaming-Zahlen um 1.000 Millionen, wobei Afrobeats 701 Millionen dieses Wachstums ausmachten. Allein die Spotify-Playlist „Afro Hub“ hat weltweit über 2,8 Millionen Follower.
Das Burna-Boy-Phänomen
Ich muss über Burna Boy sprechen, denn sein Aufstieg veranschaulicht alles Faszinierende am globalen Siegeszug des Afrobeats. Als er 2019 „African Giant“ veröffentlichte, fand ich den Albumtitel zunächst etwas anmaßend. Aber da habe ich mich geirrt. Sein Grammy-Gewinn 2021 für „Twice as Tall“ war nicht nur eine persönliche Genugtuung – er war eine Bestätigung für das musikalische Schaffen eines ganzen Kontinents.6.
Das Bemerkenswerte an Burnas Ansatz ist, wie er seine künstlerische Integrität bewahrt und gleichzeitig großen kommerziellen Erfolg erzielt hat. Er hat seinen Sound nie für das westliche Publikum verwässert. Stattdessen hat er dieses Publikum zu sich geholt. Das ist revolutionär, und ich begreife es immer noch.
Lassen Sie mich etwas erzählen, das mir das wirklich klar gemacht hat. Letztes Jahr erwähnten sie in einem Interview mit Burna Boys Management, dass seine Europatournee schneller ausverkauft war als seine Nigeria-Shows. Denken Sie mal kurz darüber nach – ein nigerianischer Künstler, dessen internationale Nachfrage seinen heimischen Markt übersteigt. So etwas sollte in der traditionellen Logik der Musikindustrie eigentlich nicht passieren, und doch ist es so.
Digitale Plattformen: Der große Gleichmacher
Hier wird es für mich als jemanden, der den Wandel der Musikindustrie in den letzten zwei Jahrzehnten miterlebt hat, wirklich interessant. Der Aufstieg der Afrobeats fiel zeitlich nahtlos mit der Demokratisierung des Musikvertriebs zusammen. Plattformen wie Spotify, Apple Music und YouTube haben die traditionellen Gatekeeper ausgeschaltet, die historisch bestimmt hatten, welche afrikanischen Künstler ein globales Publikum erreichen konnten.
Ich erinnere mich noch gut an die Frustration, Anfang der 2000er afrikanische Musik zu finden. Man musste spezialisierte Importläden aufsuchen oder hoffen, dass jemand CDs aus Lagos mitbrachte. Heute? Mein jugendlicher Neffe in einem Vorort von Chicago hört ständig nigerianische Künstler, die er ausschließlich durch Algorithmus-Empfehlungen entdeckt hat. Das ist eine völlig andere Welt.
- Spotify hat spezielle Afrobeats-Playlists mit Millionen von Followern erstellt
- YouTube ermöglichte direkte Verbindungen zwischen Künstlern und Fans über Kontinente hinweg
- SoundCloud wurde zur Startrampe für aufstrebende Afrobeats-Talente
- Die Radiosendung „Africa Now“ von Apple Music erreichte über 50 Länder
- TikTok hat Afrobeats-Hooks weltweit viral gemacht
Die Zahlen sind atemberaubend, wenn man sie genauer betrachtet. Laut Spotifys Wrapped-Daten für 20237Afrobeats-Tracks wurden weltweit über 13 Milliarden Mal gestreamt, davon 601 Milliarden Mal außerhalb Afrikas. Das ist nicht nur Wachstum, sondern ein grundlegender Wandel im weltweiten Musikkonsum.
Der TikTok-Effekt
Ehrlich gesagt war ich anfangs skeptisch, was TikToks Einfluss auf die Entdeckung ernsthafter Musik angeht. Aber zu sehen, wie Afrobeats-Künstler die Plattform gemeistert haben, hat meine Perspektive völlig verändert. Songs wie „Love Nwantiti“ von CKay und „Godly“ von Omah Lay erreichten durch 15-Sekunden-Clips ein riesiges globales Publikum, bevor sie in den meisten westlichen Märkten überhaupt im Radio gespielt wurden.8.
Vorstoß in westliche Märkte: Zusammenarbeit vs. Authentizität
Hier wird es kompliziert, und ehrlich gesagt musste ich einige meiner eigenen Annahmen über kulturelle Authentizität und kommerziellen Erfolg hinterfragen. Die Welle der Kollaborationen zwischen Afrobeats-Künstlern und westlichen Stars war Segen und potenzieller Fluch zugleich.
Einerseits haben Kollaborationen zweifellos Türen geöffnet. Als Beyoncé auf dem Album „The Lion King: The Gift“ mehrere afrikanische Künstler präsentierte, machte sie Millionen von Zuhörern mit Künstlern wie Tekno, Yemi Alade und Shatta Wale bekannt.9. Aber ich fragte mich: Handelt es sich dabei um echte künstlerische Partnerschaften oder um Kulturtourismus?
- Drakes Zusammenarbeit mit afrikanischen Künstlern steigerte ihr Streaming im Durchschnitt um 400%
- Große Plattenlabels begannen, Afrobeats-Künstler für internationale Verträge zu verpflichten
- Westliche Künstler begannen, Afrobeats-Elemente in ihre eigene Musik zu integrieren
- Weltweit begannen Festivals mit afrikanischen Headlinern
Je länger ich diese Entwicklung beobachte, desto mehr schätze ich Künstler, die ihre Authentizität bewahren und gleichzeitig Crossover-Erfolge erzielen. Besonders beeindruckt mich Tiwa Savages Ansatz – sie hat mit westlichen Künstlern zusammengearbeitet, ohne ihre unverwechselbare nigerianische künstlerische Identität zu kompromittieren.
Wirtschaftliche Auswirkungen über die Musik hinaus
Der weltweite Erfolg von Afrobeats hat einen Welleneffekt in der gesamten afrikanischen Kreativbranche ausgelöst. Modedesigner wie Orange Culture und Musiker, die zu Unternehmern wurden, bauen internationale Marken auf, während afrikanische Sprachen zunehmend in der globalen Popkultur auftauchen.